Was, wenn Deutschland im Krieg kämpfen müsste?
Die Rufe nach einer Rückkehr der Wehrpflicht werden langsam lauter, obwohl sie sich nicht durchzusetzen vermögen. Alarmstimmung in Europa.
Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur ein Land verwüstet und dabei unbeabsichtigt ein Volk geschaffen, sondern auch ein anderes aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
Seit knapp einem Jahr sieht Deutschland sich wieder mit der Realität konfrontiert. Und das weit weg von Appeasement, Freundschaft und multilateraler Diplomatie. Weit weg vom Glauben, die freiheitlich-westlichen Werte würden von alleine Nachahmer und Bewunderer in weiten Teilen der autokratischen Welt finden. Stattdessen dreht sich auf einmal alles um militärische Bündnisse, Bewaffnung, um rote Linien, in letzter Instanz sogar um Krieg.
Sollte sich die Eskalationsspirale weiterdrehen, könnten schon bald junge deutsche Soldaten wieder an einer Ostfront stehen, töten und getötet werden.
Keine achtzig Jahre, nachdem ihre Vorfahren auf demselben Territorium einen verbrecherischen Krieg führten, Zivilisten massakrierten und einen Genozid verübten.
Ihre Urenkel aber würden dieses Mal nicht als Aggressoren an einer Front im Osten stehen, sondern als Verteidiger, zu Hilfe gerufen von den ehemaligen Ländern der UdSSR im Kampf gegen den übermächtig-scheinenden Nachbarn, der nach alter Größe strebt und gewaltsame Landnahme wieder hoffähig gemacht hat.
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Wäre Deutschland verteidigungsfähig?
Über Kriegsgerät zu streiten, ist eine zermürbende Debatte.
Anstatt sich jahrelang wegzuducken, ob vor Barack Obamas höflicher oder vor Donald Trumps direkter Schelte, hätte Deutschland schon längst seinen Wehretat erhöhen müssen.
Eine unterfinanzierte, wenig beworbene und schon gar nicht mit Respekt behandelte Armee, der man lieber eine Quotenministerin nach der anderen, denn eine qualifizierte Führung voranstellt, kann nicht einfach auf Abruf funktionieren, wenn man zweimal in die Hände klatscht. Daran wird auch ein Sondervermögen wenig ändern.
Die Debatte um Gerät, Fähigkeiten, um Personenstärke und Führung ist eine wichtige. Aber sie soll nicht Teil dieser Analyse werden.
Denn im Kriegsfall braucht man viel mehr als gutes Gerät. Mindestens so wichtig wie eine moderne Artillerie und Luftwaffe sind rechtschaffene, gehorsame und mutige Soldaten ebenso wie eine Zivilgesellschaft, die ihren Kämpfern beiseite steht. Das ist überall so, das ist immer so gewesen. Anders können Kriege nur schwerlich gewonnen werden.
Eine Generation, die in Frieden und Wohlstand aufgewachsen ist, die nicht weiß, wie sich Hunger anfühlt und die nie in Unfreiheit gelebt hat und die den freien Westen, dem sie diese Privilegien zu verdanken hat, trotzdem nicht zu schätzen weiß, begibt sich auf vermintes Territorium.
Eine Generation, die zwischen Mikro- und Makroaggressionen unterscheidet, die sich in Universitäten Safe Space's einrichtet, in denen selbst Widerrede und freie Meinungsäußerung als Gewalt gedeutet werden, scheint schier überwältigt von der Aussicht auf reale Gewalt. So sehr, dass sie sie größtenteils einfach ausblendet.
Einer in großen Teilen so unreifen Generation, scheint in vielerlei Hinsicht das kreative Vorstellungsvermögen dafür abhandengekommen zu sein, worauf es im Leben ankommt - und welche Sorgen Luxusprobleme sind.
Könnte eine solche Generation einen zähen und belastenden Verteidigungskrieg überhaupt durchstehen? Ob an der fernen Front oder Zuhause?
Wer ist bereit, zu sterben?
Es sind unangenehme Fragen, die man sich stellen muss.
Was passiert mit uns, was wird aus unseren Freiheiten, wenn wir uns den kriegführenden Autokraten dieser Welt nicht entgegenstellen?
Und was passiert, wenn wir es doch tun und die Schlacht so zu unserer eigenen machen?
Aber die wichtigsten Fragen gehen in den Medien unter.
Wer wäre bereit für Deutschland, für Europa, für den Westen eine Uniform anzuziehen, sich an die Front versetzen zu lassen und dort notfalls im Kampf zu sterben? Erschossen, irgendwo im Matsch. Mit einer Kugel zwischen den Augen. Mit Ehre hat so ein Tod wenig zu tun. Und mit intergeschlechtlichen Pronomen noch weniger. Das wissen im Zweifel auch die größten Kämpfernaturen.
Ist es also nur verständlich, wenn ehemalige Pazifisten heute riesige Waffenlieferungen an all die Länder durchsetzen wollen, die im Zweifelsfall zuerst dran wären?
Damit die Bürger dieser Länder dann die furchteinflößende Arbeit für uns erledigen, damit die, nicht wir, zuerst für unser Bündnis in großen Zahlen sterben müssten?
Damit sie den Feind abhalten könnten, bevor man selbst dazu gezwungen wäre, Uniform anzulegen und zu kämpfen, ja zu sterben?
Ja, all das scheint nachvollziehbar. Aber auch auf hinterhältige Weise zynisch. Mit Menschenfreundlichkeit und der oft gehuldigten Solidarität hat so eine Denkweise wenig zu tun.
Wofür bin ich bereit zu sterben?
Jeder sollte sich, bevor er über den Krieg anderer spricht, selbst die Frage stellen, wofür es sich zu sterben lohnt. Wofür er selbst bereit wäre, zu sterben. Für eine hehre Sache? Für ein Land? Wenn ja, für welches? Oder doch nur, wenn er damit Menschenleben rettet? Oder wäre man erst dann bereit, zur Waffe zu greifen, wenn die eigene Familie im Fadenkreuz stünde? Würde man sich erst zur Wehr setzen, wenn einem der Feind direkt eine Waffe an der Kopf hält? Oder bliebe man selbst in so einer schlimmen Ausnahmesituation davon überzeugt, dass die Diplomatie das Vehikel der Wahl wäre?
Und müssen sich diese Fragen nur die jungen Männer stellen oder aber auch die jungen Frauen, die immer von Rechten, aber selten von Pflichten sprechen wollen, die wütend auf der Straße stehen, nicht selten mit erhobener Faust? Ist Krieg-führen-zu-dürfen ein Recht für alle? Oder eine Pflicht unisono für Individuen mit XY-Chromosomen? Gibt es, wenn es ums Kämpfen und Sterben geht, doch wieder Geschlechterunterschiede?
Ein typisch deutsches Problem
Die Schwierigkeit liegt anderswo: Wir leben in einer infantilen Gesellschaft, in der selbstständiges Denken mehr und mehr zur Rarität verkommt.
Wenn einem der Arzt die Wahl des Medikaments abnimmt, ist das noch rational. Wenn sich aber die Regierung um Wohnung, Rente und Versicherung kümmert, dann ist das schon in höchstem Maße entmündigend. Und langfristig infantilisierend. Wenn man aber an den Punkt gelangt, dass Unis und der öffentlich-rechtliche Rundfunk einem das Denken abnehmen, dann wird es wiederum gefährlich. Wenn auch vermeintlich um einiges gemütlicher.
Außerdem: Wie können die, die Deutschland, Amerika und den Westen gleichermaßen hassen, die den modernen Westen bei der UN bloßstellen und keine Peinlichkeit scheuen, ihn als "systemisch rassistisch" zu brandmarken, wie können dieselben Menschen dann ein fremdes Land massiv militärisch unterstützen wollen, das angibt, für die westlichen Ideale zu kämpfen und zu bluten?
Hier passt etwas nicht zusammen.
Eine junge Osteuropäerin brachte es zu Beginn des Krieges auf den Punkt, als sie mir im privaten Gespräch anvertraute, sie glaube, für viele junge Deutsche und Amerikaner sei der Krieg in der Ukraine mehr Reality-TV denn wahre Begebenheit.
Fernsehen zum Zittern und zum Weinen, zum Schreien und zum sich selbst wichtig nehmen. Zum sich spüren und zum Angst haben. Ein Krieg, wie geschaffen, um sich beim Therapeuten über Stress zu beklagen, ja über Angstzustände, Panikattacken und Burnout. Nur, um anschließend wieder infantil bemuttert zu werden.
Weniger bis gar nicht würde man sich mit der Frage beschäftigen, was so ein Krieg wirklich mit Menschen macht. Mit denen, die einen nicht anschauen, wenn man im Bad in den Spiegel schaut. Sondern mit denen, die zwischen den Fronten leben. Die sich an Bombardements zu gewöhnen drohen. Schon gar nicht aber würde man daran denken, im Notfall selbst aufzustehen für die, denen man all die Waffen, Herzen, Likes und Prayer schickt.
Nähme man an, die Ukraine sei zu Beginn des Kriegs noch kein Volk gewesen, dann ist sie es heute mehr denn je. Denn es sind nicht Politiker, die Völker gebären. Es sind Narrative, Geschichten und Erfahrungen, die aus losen Menschenansammlungen Völker machen.
Was aber ist mit Deutschland? Hat am Ende die deutsche Geschichte dafür gesorgt, dass dieser Wirtschaftsgigant im Herzen Europas nur noch hilflos in jede Krise hinein strauchelt, sei es nun eine der offenen Grenzen oder aber eine kriegerische?
Was passiert, wenn deutsche Soldaten für ein Land kämpfen müssten, das es nicht schafft, der grausamen Geschichte der Vergangenheit auch ein positives Narrativ der Gegenwart hinzuzufügen? Eines, für das es sich zu kämpfen und zu sterben "lohnt"? Glaubt die Politik überhaupt selbst daran, dass junge Leute ihr Leben geben für ein von ihnen selbst so oft als "rassistisch/sexistisch/homophob/transphob/xenophob/klimaleugnend" gebrandmarktes Land?
Vielleicht wäre die einzig verbliebene Lösung, um endlich aus der Infantilitäts-Falle zu entkommen, damit anzufangen, endlich die richtigen Fragen zu stellen. Aber nicht immer nur den anderen, sondern aktiv auch sich selbst. Und erst dann Forderungen zu stellen und laut mitzureden. Zu welchem Schluss auch immer man schlussendlich gelangt ist.
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