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AutorenbildTom David Frey

Warum tragen muslimische Frauen eigentlich ein Kopftuch?


Symbolbild - Zwei junge Frauen mit Hijab

Kein Kleidungsstück polarisiert so sehr wie das muslimische Kopftuch.

Die einen tragen es aus Überzeugung, die anderen verachten es als Zeichen religiöser und patriarchaler Unterdrückung. Obwohl das Grundgesetz die freie Religionsausübung schützt, herrscht seit Jahren eine emotional geführte Verbotsdebatte.


Die grundlegende Frage aber geht dabei oft unter: warum tragen muslimische Frauen das Kopftuch überhaupt? Und stimmt es, dass der Koran eine Verschleierung überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn gebietet, wie es viele Kritiker behaupten?



Warum Frauen das Kopftuch tragen


Bevor wir uns aber mit der religiösen Perspektive beschäftigen, mit der Frage, ob der Koran eine Kopfbedeckung wirklich vorschreibt, sind auch die nicht direkt mit Religion verbundenen Gründe muslimischer Frauen zu berücksichtigen, die dazu führen können, dass sie sich einen Hidschāb anziehen.


Offensichtlich schafft Uniform Zugehörigkeit. In einem Land, in dem viele Türken sich beleidigt fühlen, wenn man sie als Deutsche anspricht – und in dem zeitgleich ein Mitbürger türkischer Herkunft, der schon in der dritten Generation in Deutschland lebt, der die Sprache spricht, sich an Gesetz und Ordnung hält, trotzdem von vielen als "Türke" bezeichnet wird, der sucht sich seine Zugehörigkeit an anderer Stelle.

Dass Religion nicht nur sinn-, sondern auch identitätsstiftend ist, weiß jeder, der sich mit der Geschichte der Menschheit auseinandergesetzt hat. Ein religiöses Symbol ist deshalb immer auch ein Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit. Manchmal ohne religiösen Pathos, sondern aus rein menschlichen Motiven: Niemand ist gerne allein.


Eine oberflächliche Welt schaffen Social-Media-Plattformen. Sie sorgen dafür, dass uns Äußerlichkeiten immer wichtiger und Qualitäten wie Charakter und Intelligenz immer unwichtiger erscheinen. Das geht so weit, dass mittlerweile Worte wie Vernunft, Bescheidenheit und Anstand einen negativen Beigeschmack verpasst bekommen haben.

Wer heiß aussieht, wer sich darstellt, gewinnt bei Social Media an Ansehen – wer stattdessen kluge Gedanken äußert, wer sich weniger selbst ins Rampenlicht rückt, verliert nicht selten Follower.

Die Entscheidung einiger muslimischer Frauen, sich nicht auf ihre Äußerlichkeiten reduzieren zu lassen und stattdessen auf die innere Schönheit zu fokussieren, klingt in Zeiten von Instagram, TikTok und YouPorn fast philosophisch.


Eine weitere häufig genannte und von der Religion losgelöste Begründung zum Tragen eines Kopftuchs ist eine generelle Opposition zu westlichen Idealen. Der Hidschāb symbolisiert hier die Andersartigkeit und Ablehnung. Was für einen Verteidiger des Westens erstmal bedrohlich oder zumindest verurteilenswert klingen mag, kann aber gerade bei klassischen Liberalen und Konservativen auch anderer Konfessionen Anklang finden.

In Zeiten, in denen die Linke behauptet, nichts sei wirklich, jede Phantasie entspreche der Realität, Mann sei Frau und Frau ein bisher unentdecktes Geschlecht, da ist es nicht verwunderlich, dass Weisheit nicht mehr in Medien und Institutionen, ja nicht einmal in Schulen und an Universitäten gesucht wird.

In Zeiten, in denen mit Inbrunst erklärt wird, Männer könnten schwanger werden und in denen Frauenrechte auf Diskussionen über Managergehälter reduziert werden, in solchen Zeiten gibt die Religion Sinn.


Natürlich gibt es auch die Fälle, in denen Frauen sich das Kopftuch anziehen, weil sie es einfach schön finden, weil sie es so gelernt haben und als Teil ihrer kulturellen Identität empfinden.


Nicht zu vergessen und umso mehr zu verteidigen sind auch die Fälle, in denen Frauen zum Bedecken ihrer Haare gezwungen werden. Dieses traurige Beispiel ist in manchem Land Realität, so zum Beispiel im Iran, in dem das Ablegen des Hidschāb zum Zeichen der Rebellion gegen die Mullah-Regierung avanciert ist. Aber auch in Deutschland ist das Phänomen kein unbekanntes. Auch hier kommt es vor, gerade unter Zuwanderern aus muslimischen Ländern Afrikas, aber auch aus Ländern wie Afghanistan und Pakistan, dass Frauen einem Zwang unterliegen, das Kopftuch umzubinden, wollen sie sich vor Racheakten und die Familie vor einem Ansehensverlust beschützen.


Eine weitere Möglichkeit ist die freiwillige Verhüllung, um sexuellen Straftaten vorzubeugen. Die in vielen islamischen Ländern grassierende sexuelle Gewalt gegen Frauen kann, so sie ungeahndet bleibt oder im schlimmsten Fall sogar eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird, auch in eine freiwillige Verhüllung ausarten. Nicht zu vergessen ist, dass viele junge Männer aus fernen und uns fremden Kulturen mittlerweile auch in Deutschland Zuflucht suchen. Großflächig verkörpern sie ein archaisches Weltbild und wieder und wieder kommt es zu körperlichen und/oder sexuellen Gewaltdelikten. Zum Schutz vor übergriffigen Blicken und vor sexuellem Verhalten anderer wird dann auf das einzige Mittel zur Abwehr gesetzt, das einem im Alltag bleibt. Das heißt nicht Polizei oder Richter, sondern Kopftuch und Verhüllung, um die männliche Lust im Zaum zu halten und sich etwaigen Tätern optisch möglichst zu entziehen.



Das Kopftuch und der Koran

Symbolbild - Der Koran

Nun aber zur eigentlichen Frage: warum überhaupt ein Kopftuch tragen? Die einen behaupten, im Koran fände sich darüber kein Sterbenswörtchen, die anderen lesen Verhüllungsgebote an vielen Stellen aus den Schriften heraus.


Wer zu dem Thema forscht findet im Koran drei Stellen, die auf ein Verhüllungsgebot hinweisen.


"Und wenn ihr die Gattinnen des Propheten um etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut das hinter einem hijāb hervor! Auf diese Weise bleibt ihr und euer Herz rein." (Koran, 33:53) "O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen. Das ist eher geeignet, daß sie erkannt und so nicht belästigt werden. (...)" (Koran, 33:59) "Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen die Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht normalerweise sichtbar ist, ihren himār über den Schlitz (Anmerikung: des Kleides) ziehen und den Schmuck, den sie tragen, niemandem offen zeigen (...)" (Koran, 24:31)

Für diese drei Passagen gibt es, wie bei religiösen Texten so oft, viele Interpretationen.


Am spezifischsten drückt es Sure 24:31 aus, weshalb über diese am meisten diskutiert wird. Dort steht, dass gläubige Frauen ihren Himār über den Schlitz des Kleides ziehen sollen. Um das zu verstehen, ist ein Verständnis der Kleidung zu Zeiten der Schriftniederlegung Voraussetzung. Die alt-arabische Bekleidung für Frauen bestand unter anderem aus einem weiten, hemdartigen Kleid, "dem vorn vom Halsausschnitt aus ein offener Schlitz in Richtung Taille nach unten reichte" (Quelle: Deutsche Islam Konferenz). Dieser offene Schlitz konnte bei bestimmten Bewegungen Teile der Brust sichtbar machen. Das alt-arabische Gewand bestand außerdem aus einem Tuch, dem sogenannten Himār, das Kopf und Schultern, bei Bedarf aber auch das Gesicht, verdeckte. Der Koran fordert also in Sure 24:31 gläubige Frauen dazu auf, sich die Enden des Himār-Tuchs über den Brustbereich zu ziehen, um so Einblicke zu verhindern.


Die Bedeckung des Dekolleté ist das eine. Bisher gilt für gläubige Frauen nur, sich sittsam zu kleiden. Ein Bedeckungsgebot der Haare allerdings ist explizit aus den Suren nicht herauszulesen.


Hier kommt der "Schmuck", von dem in Sure 24:31 die Rede ist, ins Spiel und macht die Sache kompliziert. Denn was genau ist Schmuck? Die einfachste Definition wäre, Schmuck auf Äußerlichkeiten, wie Ringe, Ketten, Haarreife, Ohrringe, Körperbemalungen und Schminke zu reduzieren.

Umstritten, allerdings im Gespräch sind beispielsweise aber auch die Hände und Arme, der Hals und der Nacken.

Bei vielen Gelehrten durchgesetzt hat sich allerdings gemeinhin die Ansicht, dass auch das Haar einer Frau als Schmuckstück anzusehen sei - die Geburt des Verschleierungsgebots der Haare.


Von der Verhüllung gibt es aber auch Ausnahmen, die ebenfalls explizit aufgeführt sind. Ohne Bedeckung dürfen muslimische Frauen sich demnach folgenden Menschen zeigen:

"(...) ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Brüdern ihrer Brüder und den Söhnen ihrer Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Gefolgsleuten, die keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die noch nicht von weiblichen Geschlechtsteilen wissen." (Koran, 24:31)

Trotzdem ist ein weiterer Aufschrei vorprogrammiert: Frauen sollen ihre Augen niederschlagen. Sie sollen sich zügeln, um keine Lust zu verspüren oder auszulösen. Sie sollen ihren Drang kontrollieren und fremde Männer nicht direkt anschauen. Denn, so eine bekannte Sichtweise, selbst mit den Augen könne man schon Unzucht begehen.


Anstatt sich aber über diese vermeintlich sexistische Diskriminierung auszulassen, würde eine ehrliche Recherche helfen. Denn der Koran nimmt auch die Männer in die Pflicht:


"Sag zu den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten. Das ist lauterer für sie. Gewiß, Allah ist Kundig dessen, was sie machen." (Koran, 24:30)

Ob man es nun als richtig oder falsch empfindet, Augenkontakt mit sexuellen Handlungen gleichzusetzen, ob man es nun als richtig oder falsch einschätzt, die sexuelle Freiheit an dieser für westliche Standards niedrigen Schwelle zu begrenzen: der Koran macht in dieser Hinsicht beide Geschlechter verantwortlich und gebietet allen Muslimen, Männern wie Frauen, ihre Blicke zu senken.



Freiheit aushalten - und durchsetzen


Der Mensch ist frei – was in erster Instanz die Fähigkeit und das Recht beschreibt, aus eigenen Gedanken selbstständige Entscheidungen abzuleiten und für diese die Verantwortung zu übernehmen.


Woher weiß ein Mensch, der schon mit sich selbst zu kämpfen hat, was für einen anderen das Beste ist? Hat nicht jeder Mensch individuelle Bedürfnisse? Und wenn das Wort "individuell" zu hochgegriffen erscheint, ließe sich dann nicht festhalten, dass jeder Mensch die Welt um sich herum subjektiv wahrnimmt?

Die sexuelle Revolution des einen ist des anderen Verfall von Reinheit, Heiligkeit und Würde.

Wenn atheistische Linke muslimischen Frauen vorschreiben wollen, was sie zu tragen haben, dann sind sie es, die Frauen systematisch entmündigen. Woher leiten sie ihren Anspruch auf die alleinige Deutungshoheit ab, was für eine Frau gut und was schlecht sei?


Es geht nicht um Physik, wo man wahr und unwahr faktisch bestimmen und voneinander unterscheiden kann. Bei Themen wie Religion, Sexualität, Weiblichkeit und Würde geht es oft um subjektive Wahrnehmungen, um Ethik und Perspektiven.

Glaubt eine in Berlin lebende Feministin der 68er-Bewegung allen Ernstes zu wissen, wie sich eine junge muslimische Studentin in Freiburg fühlt, wie diese ihre Umwelt wahrnimmt und welche Wünsche, Hoffnungen und Ziele sie daraus ableitet?


Wenn sie sich eigenständig dazu entscheidet, dann darf jede Frau ihren Kopf bedecken. Ob mit einem Tuch, einem Hut, einem Hidschāb oder womit auch immer. Das garantiert ihr der von allen Kollektivisten verhasste, dadurch nur umso wichtigere, liberale Rechtsstaat.


Symbolbild

Natürlich aber garantiert dieser auch den Schutz der Frauen, die sich der Auslegung der Gelehrten zum Tragen eines Hidschāb widersetzen.

Die, die Verfolgung erleben, ob durch die eigene Familie oder andere; die, die um ihre Sicherheit bangen, müssen konsequent vom Staat geschützt und nicht über den kulturellen Hintergrund ihrer Angehörigen belehrt werden.

Der liberale Rechtsstaat ist dem Individuum verpflichtet – das ihm hohe Steuern zahlt, um im Notfall Schutz in Anspruch nehmen zu können.

Die falsch verstandene Toleranz, oder anders, die Feigheit deutscher Gerichte muss einer kraftvollen Rechtsprechung weichen, die Opfer anstatt Täter schützt. Damit keine Frau in Deutschland sich fürchten muss, wenn sie den Hidschāb ablegt.


Haftanordnungen für die, die Freiheit nur für sich selbst auslegen und andere bedrohen, sollten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein.

Denn das Grundgesetz schützt nicht nur die freie religiöse Entfaltung, sondern auch die Entscheidung, einer Religion oder einer religiösen Praktik den Rücken zu kehren.


Dass der Staat hier zu versagen droht, indem er Intolerante mit Toleranz überhäuft, ist das falsche Zeichen.


 

Im nächsten Teil gehe ich auf die Verbotsdebatte ein. Gehört das Kopftuch verboten? Wenn ja, dann nur für Minderjährige oder für alle? Antworten auf diese und mehr Fragen findest Du hier.

 

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