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AutorenbildTom David Frey

Können Republikaner und Demokraten noch zusammenfinden?


A police car in New York City

Amerika ist zerrissen.

Demokraten und Republikaner bekämpfen sich. Teilweise auf Sachebene, oftmals aber mit Schmierkampagnen und Falschnachrichten. Geredet wird nicht mit- sondern übereinander.

Jeder auf seinem Sender. Jeder in seinen eigenen Zeitungen.

Für Europäer wirkt das Schauspiel manchmal bizarr - vor allen Dingen aber besorgniserregend. Als wirtschaftlich stärkste Nation ist Amerika für uns unentbehrlich. Als Speerspitze der internationalen Bemühungen für Freiheit und Demokratie sogar überlebenswichtig.

Umso essentieller erscheint in diesem Kontext die Frage, wie man in so polarisierten Zeiten noch Konsens findet. Wie man aus Feinden wieder Familie und Freunde macht, oder zumindest gleichwertige Gesprächspartner, die die selben Grundwerte teilen und im Notfall zusammenstehen. Gerade in Zeiten, in denen Demokratie und Freiheit erstmals seit Jahrzehnten wieder auf dem Rückzug sind und Autoritarismus sich wieder ausbreitet.

Und ein Zusammenstehen für die eigenen Werte sollte, ja muss sogar möglich sein, ohne dass Amerika eine Katastrophe im eigenen Land erlebt. Zusammenstehen aus Überzeugung. Aus einer inneren Verpflichtung den westlichen Grundwerten gegenüber, die den Westen zum Zufluchtsziel aller nach Freiheit strebenden Menschen gemacht hat.


Blick from Tower of David zum Felsendom in Jerusalem
Blick über die Altstadt Jerusalems mit dem Felsendom im Zentrum

Szenenwechsel. Raus aus Europa, weg aus Amerika. Hier, im Nahen Osten geht es nur selten, wenn überhaupt, um Abtreibungs- und Health Care Debatten. Es geht nicht darum, dass jeder ein Rassist ist, der für die Republikaner stimmt und nicht jeder ein Dummkopf, der sein Kreuzchen bei den Demokraten macht.

Hier im Nahen Osten geht es um existenzielle Fragen, die die Leute einerseits belasten, manchmal sogar traumatisieren, die sie aber andererseits von geistigen Irrfahrten abhalten und den Fokus aufs Wesentliche erhalten. Für Komfort-Debatten hat man in dieser Region der Welt nur selten Zeit.


Die Sonne strahlt an diesem Tag, als wir die Schnellstraße Richtung Sderot herunter fahren. Eine bunt gemischte Gruppe aus verschiedenen Menschen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Alle in ein großes Mietauto gezwängt. Nein, es handelt sich bei dieser Fahrt weder um einen Umzug, noch um eine Urlaubsreise. Wobei, im Urlaub sind die meisten von uns offiziell schon. Allerdings werden wir heute nicht am Strand liegen und uns verwöhnen lassen. Auch ein Pool wird uns heute nicht unter die Nase kommen.

Wir, das sind acht Fremde, haben ein Auto gemietet und uns die Kosten geteilt, um gemeinsam die Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen abzufahren. Wir stammen aus aller Herren Länder. An Bord sind Amerikaner und Kanadier ebenso wie Brasilianer, Chinesen und Israeli. Ich selbst habe zwei Staatsbürgerschaften und zeichne so für den Anteil an Schweizern und Deutschen im Auto verantwortlich.


Für alle, die noch nie in der Region unterwegs waren, eine kurze aber wichtige Information: Obwohl Israel in den Medien ein Dauerbrenner ist, ist das Land selbst klein. Wirklich klein. Mit nur rund 20.000 Quadratkilometern Fläche ist es flächenmäßig sogar kleiner als Hessen, das immerhin knapp die 21.000er Marke knackt. Von Jerusalem aus, das zentral in der Mitte des Landes liegt, braucht man deshalb keine anderthalb Stunden, bis man Sderot erreicht. Die Kleinstadt mit ihren rund 26.000 Einwohnern liegt direkt an der Grenze zum Gazastreifen. Auch das Mittelmeer ist nur einen Steinwurf entfernt. Trotz immer wiederkehrendem Raketenbeschuss, trotz öffentlichen Bushaltestellen und Spielplätzen, die standardmäßig mit einem Bunker ausgestattet sind, wächst die kleine Stadt.


Bunker in Israel, die vor Raketen der Hamas schützen sollen
Fast jede Haltestelle hat einen eigenen Bunker für den Fall von Raketenangriffen

Allerdings geht es in diesem Artikel nicht um die angespannte Lage in Nahost. Es geht auch nicht um militärische Fragen, nicht um wirtschaftliche oder kulturelle. Es geht nicht einmal um Menschenrechte.


Da ich ein Mann des Wortes bin, fange ich sofort mehrere Gespräche gleichzeitig an. Mit zwei Amerikanerinnen vertiefe ich das Gespräch dann.

Wir sprechen über die Lage vor Ort, als wir einen ehemaligen militärischen Ausguck hinaufsteigen und über den Grenzzaun in der Ferne schauen - nach Gaza. Von hier aus sieht alles ganz friedlich und trügerisch normal aus. Im Vordergrund die Landwirtschaft, dahinter die Dörfer und Städte. Und am Horizont das blaue Mittelmeer.


Uns fällt ein Panzer auf, der bewegungslos hinter einem extra angelegten Berg aus Erde steht. Sollte eine Rakete gen Israel fliegen oder eine andersartige Attacke gestartet werden, ist er jederzeit bereit, den Hügel hinaufzufahren und zu reagieren.


Ein israelischer Panzer steht nahe Gaza in Bereitschaft
Ein Panzer steht in Bereitschaft

Ich finde heraus, dass die Ältere der beiden Amerikanerinnen, Martha*, eine US-Diplomatin im Ruhestand ist. Ihr Hauptarbeitsplatz war für viele Jahre die UN, wo sie im Hintergrund an vielen wichtigen politischen Kämpfen und Verhandlungen teilgenommen hat. Außerdem haben sie und ihre Tochter sich in ihrer aktiven Zeit als Diplomatin die Welt zu einer Art zweitem Zuhause gemacht.

Während Martha sich ganz klar als Demokratin bezeichnet, scheint ihre Tochter zwar auch in dieselbe Richtung zu tendieren, aber mit weniger Vehemenz.


Wir erreichen ein lokales Kibbuz, das direkt an der Grenze liegt und zum Schutz vor Kidnapping und terroristischen Attacken nochmal einen eigenen Sicherheitszaun um das Gelände gezogen hat.

Kibbuzim, für alle, denen der Begriff fremd ist, sind typisch israelisch. Eigentlich ein Relikt aus der Vergangenheit, erfahren sie in jüngerer Zeit wieder einen starken Zulauf. Zwar sind die landschaftlichen Gemeinschaften heute nicht mehr sozialistisch, so wie früher, denn funktioniert hat der Sozialismus nicht mal auf lokaler Ebene, aber auch heute noch legt man großen Wert auf eine funktionale Gemeinschaft, auf gemeinsames Wirtschaften und Leben. Den Hauptumsatz machen die Kibbuzim dabei traditionell mit der Landwirtschaft, aber mittlerweile auch immer häufiger mit Tourismus.


Wir betreten ein großes Gebäude, das von innen wie eine Sporthalle aussieht. Nur stehen hier lange Tische, anstatt Reck und Barren. In dieser einfachen, dafür aber umso herzlicheren Atmosphäre - denn auch einige lokale Familien essen hier und die Stimmung scheint gut - geht es dann ans Eingemachte. Das Essen ist, wie eigentlich fast immer in dieser Region, wunderbar. Und das, obwohl ich als Pescetarier auf all die wunderbaren Fleischgerichte verzichten muss.


Beim Essen setzen wir unser Gespräch fort. Aber langsam beginnen wir thematisch abzudriften. Wir überqueren mental das Mittelmeer, die europäischen Weststaaten und landen in den USA. Wir debattieren offen. Es geht um Fragen der Meinungsfreiheit, die Martha und ich unterschiedlich auslegen.

Ich plädiere für eine fast uneingeschränkte Form der Meinungsfreiheit. Aus der Überzeugung, dass radikale Ideen am besten bekämpft werden, wenn sie sich auf dem Marktplatz der Ideen mit anderen messen müssen. Denn nur im offenen Meinungsaustausch wird sichtbar, wie schnell Ideologien wie Sozialismus, Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus zerfallen, wenn man sie mit Fakten konfrontiert. Natürlich bin auch ich dafür, geltendes Recht anzuwenden: Aufrufe zu Gewalttaten, Bedrohungen und Hetze muss sich schon jetzt niemand gefallen lassen. Dafür gibt es Paragraphen und das ist gut so. Aber Social Media durchzuregulieren, die Meinung der jeweiligen Regierung als Wahrheit zu kennzeichnen und davon abweichende als Fake News? Nein, das scheint mir falsch.

Martha sieht das anders. Ihr scheinen zum Beispiel einige Begriffe verletzend (Hassrede), was ich nachvollziehen kann. Hässliche Worte gibt es en masse. Nur würde Martha diese gerne verbieten lassen, wohingegen ich das für kontraproduktiv und schwer umsetzbar halte. Wer definiert, was Hass und was nur eine legitime Aussage ist? Gefährliche Ideen mental zu entwaffnen - es scheint, als glaube Martha, dass es dafür einen Doktortitel brauche. Ich hingegen glaube, dass ein gesundes Bauchgefühl in Kombination mit einer ehrlichen Debatte in den meisten Fällen ausreicht. Und schon gar nicht glaube ich, dass Titel und Auszeichnungen gute von schlechten Menschen unterscheiden. Um das ganze zu erklären, zitiere ich die Wannseekonferenz: damals, im Jahr 1942, trafen sich 15 hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Regimes und der SS. Bei Kaffee und Kuchen und schönem Wetter besprachen sie in nur anderthalb Stunden "die Judenfrage" und ließen sich den barbarischsten Völkermord der Geschichte, die "Endlösung", einfallen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer hatte einen Doktorgrad. "Nein", stellte ich fest, "am akademischen Werdegang will ich nichts festmachen."

Nur an einem Punkt kommen Martha und ich doch zusammen. Das Ausmaß an medialem Wahnsinn, an Falschnachrichten, ist bei Social Media nicht nur ein Problem, sondern mittlerweile zur Gefahr mutiert.

Allerdings stützt sich Martha in der Lösungsfindung auf die Durchsetzungskraft der Regierung, die hier für Recht und Ordnung sorgen soll. Ich sehe das mal wieder anders. Wurden unsere Verfassungen nicht genau deshalb geschrieben, um das Individuum vor dem Staat zu schützen und nicht andersherum? Ist es nicht schwierig, wenn eine parteiische Regierung, und das trifft auf jede Regierung überhaupt zu, entscheidet, was wahr und was falsch ist?

Beispiel Jacinda Ardern. Die ehemalige Staatschefin Neuseelands sagte im Zuge der Corona-Krise zwei verhängnisvolle, sowie faktisch falsche und politisch brandgefährliche Sätze. Der eine ging so: „We will continue to be your single source of truth“. Und der andere, nur wenige Sätze später: „Unless you hear it from us, it is not the truth“. Auch wenn man sich den dazugehörigen Kontext durchliest, die Sätze macht das nicht besser und richtiger.

Unsere Debatte nimmt Fahrt auf. Wir reden hitzig, aber dennoch fraglos freundlich und respektvoll miteinander, einigen uns am Schluss nicht, fühlen uns aber auch nicht entfremdet. Das bei Konservativen bekannte Motto Agree to Disagree beschreibt es treffend.

Nachdem wir unsere Teller abgeräumt haben, fahren wir weiter.

Dieses Mal stehen wir an einer zusätzlich zur Grenze aufgebauten Schutzmauer. Aufgestellt wurde sie, um Scharfschützen die Sicht zu blockieren, die von Gaza aus immer wieder auf israelische (und ausländische) Zivilisten feuern.

Nahe der Grenze zu Gaza haben Einwohner eine Schutzwand gegen Scharfschützen aufgestellt, diese mit großer Friedenstaube
Eine zum Schutz vor Scharfschützen aufgestellte Wand mit Friedenstaube

Im Gegensatz zur berühmt gewordenen „Banksy-Mauer“ in Bethlehem, die Wut und Hass auf Israel in hunderten Spraypaintings verewigt, ist dieser Betonwall, der nur wenige Meter entfernt der Grenze zu Gaza aufgebaut ist, ein kleines Friedensprojekt.

Aus tausenden Mosaiken, auf jedem davon das Wort Frieden auf unterschiedlichen Sprachen, haben Menschen hier ein großes Symbol an die Wand geklebt.

Ich nehme an, dass der kleine Spion-Turm - der nur wenige Meter entfernte Hamas-Posten auf der anderen Seite der Grenze - das Kunstwerk genau sehen kann: Eine große, weiße Friedenstaube.


Natürlich reden wir an diesem Ort viel über den Konflikt. Über das Leben auf beiden Seiten der Grenze. Aber unsere Diskussion, schließlich sind wir schon stundenlang unterwegs, driftet immer wieder ab. Amerika, die vielen politischen Hotspots, die das Land im Würgegriff haben, nehmen Überhand.


Da ist das Reizthema: Abtreibung. Als Konservativer bin ich dagegen. Ein Leben zu beenden, ein menschliches Wesen mit Herzschlag willentlich zu töten, das ist für mich ein quälender Gedanke. Und menschlich falsch. Aber ich bin politisch eben auch klassisch liberal. Eine manchmal schwierige Mischung. Deshalb denke ich in dieser Diskussion laut darüber nach, ob es nicht irgendeine legale Form geben müsse, eine Schwangerschaft wenigstens noch in den ersten drei Monaten zu beenden. Wobei auch das nur passieren darf, wenn die werdende Mutter vorher an einer Aufklärung teilnahm, außerdem eine Warte- und Überdenkzeit eingehalten hat. Auch vom bei den Demokraten so beliebten Slogan „My body, my choice“ halte ich nichts. Denn bei einer Abtreibung geht es primär um jemand anderes Körper. Nicht um den eigenen. Es geht um jemandes Körper, dessen Meinung vor dessen Tötung niemand eingeholt hat.

Martha entgegnet, dass Abtreibung legitim zu sein habe. Es sei ein Menschenrecht. Ein Frauenrecht. Bis zum neunten Monat der Schwangerschaft? Im Zweifelsfall auch das.

Ich kann mir eine Zwischenbemerkung nicht verkneifen.

Ich frage, ob auch schwangere Männer, die es natürlich in Wirklichkeit nicht gibt, die aber in der demokratischen Partei gerade Hochkonjunktur haben, ein Recht auf Abtreibung hätten. Hier muss Martha* kurz lachen. Eine echte Debatte schenken wir uns. Ein bisschen common ground.

Wir fahren weiter.


Viele spannende Orte ziehen an uns vorbei. Wir sehen Militärübungsplätze. Besuchen aber auch gemeinsam eine Yeshiva, also eine religiöse Schule für junge Männer.

Auf dem Dach der Yeshiva steht nämlich eine große Channukhia. Im Dezember, wenn Juden das Channukkha-Fest feiern, zünden sie acht Kerzen an. Und der Kerzenhalter, der heißt Channukhia. Dieser aber ist anders als die meisten, die ich bisher gesehen habe. Er ist nicht silbern, nicht golden, nicht irgendwie schmuckvoll verziert. Da er auf einem Dach steht, ist er zuallererst einmal ziemlich groß. Klar, eine kleine Haushalts-Channukhia würde hier oben wenig Sinn machen.

Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass alle Lichter-Halterungen eigentlich aus den Überresten von Raketen bestehen, die die Hamas und die der Islamische Jihad nach Israel geschossen hat, um die Bevölkerung zu töten oder wenigstens in Angst und Schrecken zu versetzen. Als Zeichen des Widerstands hat man die Überreste der Raketen deshalb feierlich umgebaut.


Hamas Raketen hat man in einer jüdischen Yeshiva in eine Channukhia umgebaut
Hamas-Raketen hat man in einer Yeshiva in eine Channukhia umgebaut

Das Gespräch geht weiter.

Martha und ich besprechen dieses Mal Fiskalpolitik.

Hier im Nachhinein ins Detail zu gehen, würde den Rahmen sprengen. Zahlen, Fakten, Daten. Wir besprechen unsere unterschiedlichen Sichtweisen.

Kurz zusammengefasst: Martha ist für mehr Regulierung, ich für weniger. Sie plädiert für mehr Kontrolle und Umverteilung, ich für den Wegfall von Hürden, die Senkung der Steuern und somit für bessere Aufstiegschancen für alle, anstatt für vom Sozialstaat abhängige Bürger.

Letztlich sind es die typischen Positionen, die hier aufeinandertreffen.

Sozialistisch angehaucht auf der einen Seite, marktliberal und kapitalistisch auf der anderen. Aber weder ist Martha ein Verschnitt von Karl Marx, noch bin ich ein Vertreter einer grenzenlosen laissez-faire Haltung.


Das schöne an unseren Gesprächen mag nicht mal der Inhalt sein.

Der ist eigentlich typisch für die jeweilige politische Ausrichtung.

Es ist der Ton, der anders ist als sonst so oft. Martha und ich streiten uns nicht ein einziges Mal. Wir reden teilweise hitzig, versuchen mit unseren Argumenten den anderen zu überflügeln.

Aber niemand ist beleidigt, fühlt sich angegriffen, niemand muss pöbeln und schreien.

Eine sachliche, informative Weise miteinander zu sprechen hat sich seit Beginn unseres ersten Gesprächs etabliert. Zuhören, anstatt drüber zu reden. Andere Perspektiven direkt vom Gegenüber hören, anstatt sie nur von einem Dritten kommentiert und gefiltert wiedergegeben zu bekommen.


Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu.

Wir haben noch viele weitere interessante Orte gesehen. Mit Menschen gesprochen. Narrative von Wahrheiten zu unterscheiden versucht.


Unsere letzte Station, bevor wir wieder zurück nach Jerusalem fahren, ist der Grenzübergang „Erez“, der den Süden Israels mit Gaza verbindet.


Erez Crossing, Grenzübergang zwischen Israel und Gaza
Viel darf man hier aus Sicherheitsgründen nicht fotografieren, das große Straßenschild aber schon

Die Sonne steht tief und das Licht wandelt sich langsam von Orange zu Rot und wird dann immer schwächer.

Im August 2005 entschied sich Premierminister Ariel Sharon dazu, sämtliche israelische Siedlungen und Militäreinrichtungen in Gaza zu räumen. Der große Protest der Siedlerbewegung konnte da nichts ausrichten. Das Militär schleifte die eigenen Bürger sprichwörtlich aus ihren Wohnhäusern.


Der Plan, Land für Frieden zu geben, auf den Premier Sharon setzte, ging nicht auf.

Schon im September desselben Jahres, also nur einen Monat nach Abzug, feuerte die radikal-islamische Hamas an einem einzigen Tag 39 Raketen in Richtung Sderot, Israel. Es gab mehrere Verletzte. Das war nicht der Frieden, den man sich erhofft hatte. Die israelische Armee reagierte mit Beschuss auf die Terroristen.

Geändert hat sich dieses traurige Schauspiel seither nicht. Erst regnet es Raketen auf israelische Zivilisten, dann kommt Israels Antwort in Form von gezielten Militärschlägen auf Stellungen der Terroristen.

Wir betrachten das Grenzübergangsgebäude, das Israel und Gaza verbindet. Hier dürfen wir keine Fotos machen. Von außen wirkt das moderne, silbern schimmernde Gebäude wie ein mittelgroßes Flughafenterminal.

Immer wieder halten Autos und laden Klamotten und Alltagsgegenstände für die Einwohner Gazas ab

Damals, als es in den 1990ern gebaut wurde, hoffte man, hier täglich viele Tausend Menschen abfertigen zu können. Man dachte, es würde ein reger Personenverkehr entstehen, zwischen Israel und Gaza, vielleicht auch zwischen Gaza und den Palästinensischen Gebieten in der Westbank. Aber so kam es nicht.

Heute passieren nur wenige Arbeiter aus Gaza die Grenze und das Gelände wirkt gespenstisch.

Wir sprechen am Grenzübergang mit einigen palästinensischen Arbeitern, die nach einem langen und körperlich anstrengenden Tag, meistens im Baugewerbe, wieder zurück in den Gazastreifen gehen, wo sie mit ihren Familien leben. Die israelischen Gehälter sind für die Verhältnisse in Gaza üppig. Entsprechend begehrt ist ein Arbeitsplatz in Israels Süden.


Es entwickeln sich interessante Gespräche mit Menschen, die eigentlich nur die Hamas satt haben, diese selbst gewählte Terrorregierung, die nicht nur Israel unter Beschuss nimmt, sondern der eigenen Bevölkerung nur wenig Luft zum Atmen lässt.

Trauen sie sich, die Kritik öffentlich zu äußern? Sie winken ab. Die Angst vor Repressalien ist spürbar.


Ein Orthodoxer Jude mit Schläfenlocken schüttelt im Vorübergehen einigen jungen Palästinensern aus Gaza die Hände. Sie unterhalten sich kurz, manchmal sogar lachend, auf einer Mischung aus Arabisch und Hebräisch.


Martha und ich allerdings dringen derweil ins nächste verbale Minenfeld vor. Grenzen, Zuwanderung, Asyl, Migration. Jeder dieser Begriffe hat es in sich.

Martha plädiert für offene Grenzen, für Humanität und setzt auf Hoffnung als politische Botschaft. Auch auf den guten Willen der vielen Einwanderer, die Amerika über Mexiko fluten, setzt sie eisern.

Ich verfolge einen anderen Ansatz. Viele der Menschen, die in die USA streben, haben eigentlich kein Recht auf Asyl. Sie sind Migranten. Einerseits kann man argumentieren, dass sie Flüchtlingen, die um ihr Leben fürchten, so den wertvollen Platz, der Schutz bedeutet, wegnehmen. Zudem finde ich es unverantwortlich, Menschen in die USA zu locken, wie Joe Biden das noch im Wahlkampf tat, und was bis heute für dramatische Folgen sorgt. Denn auch Joe Biden und die Demokraten wissen, welche Strapazen gerade Frauen und Kinder auf dem Weg nach Amerika oft mitmachen. Vergewaltigung und Gewalt gehören zum traurigen Geschäft der Schmuggler.

Menschen, die eigentlich nicht fliehen müssten, dazu zu ermuntern, finde ich unter diesen Umständen unmenschlich und ethisch zu verurteilen.


Und irgendwie, nach vielen langen Debatten, sprechen wir dann noch über Waffen. Natürlich ist Martha strikt dagegen, dass Zivilisten Waffen tragen. Es sorge für die vielen Toten, die jedes Jahr zu beklagen sind. Ich entgegne, dass die Zahl an Waffentoten hauptsächlich aus Selbstmördern und Gangkriminellen besteht, stimme aber mit ihr darin überein, dass die Massenshootings in Amerika außer Kontrolle scheinen. Allerdings, argumentiere ich, gibt es auch andere Länder mit einem hohen Maß an Bewaffnung, in denen Waffengewalt in diesem Umfang nicht auftritt. Zum Beispiel in der Schweiz oder in Kanada.


Wie ist mit dem Second Amendment umzugehen, der es Bürgern erlaubt, Waffen zu besitzen?

Natürlich besprechen wir die Ursachen, streifen dabei kurz das Thema des systemischen Rassismus. Auch hier gehen unsere Meinungen und Analysen auseinander.

Wir sprechen über die grundsätzliche Sinnhaftigkeit eines Second Amendement. Martha findet es übertrieben, Bürgern ein Recht auf Feuerwaffen einzuräumen. Unmodern. Ich empfinde es als richtig, zumindest geschulten Bürgern das Recht einzuräumen, eine Waffe zu tragen, denn kein Staat, auch nicht Amerika, ist vor einer totalitären, übergriffigen Regierung gefeit. Als Deutscher ist mir das natürlich schmerzhaft bewusst.


Wir steigen in den Van und fahren in der Dunkelheit in Richtung Jerusalem. Die Lichter der vielen kleinen Ortschaften ziehen an uns vorbei. So viele Stimmen, so viele Geschichten. Eindrücke, die bleiben und zum Zurückkehren animieren, wenn man die Lage vor Ort wirklich einschätzen will.


Kurz vor Jerusalem dann sprechen wir über den Krieg in der Ukraine. Es ist das erste Thema, bei dem wir eine ähnliche Haltung einnehmen. Auch ich bin, wie die Demokraten in Amerika, der festen Überzeugung, dass Putin besiegt werden muss. Wenn nicht militärisch, dann zumindest politisch.


Es ist das erste Mal, dass meine Meinung von der der meisten Republikaner abweicht. Leicht belustigt teile ich das Martha mit.

Ihre Reaktion ist überraschend: „Wie? Du magst die Republikaner?

Ich erzähle ihr, dass ich mich in fast allen Punkten, mit wenigen Ausnahmen, den Republikanern in Amerika deutlich näher fühle als den modernen Demokraten.

Martha ist ungläubig. Ich gehe noch einmal all die Themen durch, die wir an diesem Tag besprochen haben und in denen wir nicht dieselbe Meinung hatten.

Martha lacht. Amüsiert und ertappt zugleich.

Ich frage sie, wie lange es her ist, dass sie offen mit einem Republikaner gesprochen hat? Ohne Voreingenommenheit. Sie gibt daraufhin zu, dass ihr letztes vorurteilsfreies Gespräch mit einem Konservativen schon länger zurückliegt. Auch Medien, die den Republikanern nahestehen, liest und schaut sie nicht.


Martha, diese politisch erfahrene und kluge Frau, mit der ich den ganzen Tag lang spannende Gespräche geführt habe, mit der ich selten einer Meinung war, denkt über die Republikaner das, was Medienhäuser wie CNN und die New York Times ihr vorgeben. Ohne es zu hinterfragen. Das überrascht mich abermals. Sie scheint bei keinem Republikaner selbst nachgeforscht zu haben, hingehört, ob er wirklich durchgeknallt, rassistisch, sexistisch - oder aber einfach nur einer anderen Meinung ist.


Aber Du bist doch Europäer…

Dieses Mal bin ich es, der lacht.


Ich begreife, dass Martha mit mir so offen diskutiert hat, ohne mich abzustempeln, weil sie davon ausging, ich, der Europäer in der Runde, sei natürlich politisch eher links zu verorten.

Vielleicht Grün oder klassisch Sozialdemokratisch oder - im schlimmsten Fall auch noch vertretbar - Merkel-konservativ.

Dass ich liberal-konservativ bin, dass ich Ökonomen wie Milton Friedman, die ehemalige Britische Premierministerin Margaret Thatcher, Intellektuelle wie Roger Scruton und den kanadischen Professoren Jordan B. Peterson, ja selbst den Amerikanischen Radio-Moderatoren Dennis Prager schätze, die in linken Medien pauschal verschrien sind, damit hat Martha nicht gerechnet.

Aber ihr Nichtwissen hat dafür gesorgt, dass wir diskutiert und an diesem Tag viel zusammen gelacht haben, dass wir, wenn wir mal nicht einer Meinung waren, uns nicht getrennt oder beschimpft oder anderweitig abgewertet haben.

Ohne mich schon vor dem Gespräch zu kategorisieren, ja abzustempeln, typischerweise als Trumpist oder gleich als Faschist, waren meine Argumente auf einmal weit weg von Extremen.

Und das, obwohl ich in vielen Fragen die gängige Meinung vieler Republikaner vertreten habe.


Wenn es nach Martha gegangen wäre, dann wäre ich wohl noch immer als Demokrat durchgegangen.


Wir kommen wieder in Jerusalem an.

Unseren Mietvan geben wir direkt zurück, obwohl wir ihn eigentlich bis zum Morgen des nächsten Tages gemietet haben.

Dann bezahlt jeder für seinen Teil der Reise. Also die Kosten für die Miete und den Sprit geteilt durch die Teilnehmer. Auch hier bemerken wir einen interessanten kulturellen, aber auch politischen Unterschied. Nicht nur, dass Dienstleister wie PayPal, in Europa das Aushängeschild für modernes Bezahlen, in Amerika schon wieder abgelöst und altmodisch erscheinen. Nein, noch urtümlicher, ich zahle bar.

Weil ich immer versuche, bar zu zahlen. Bargeld ist Freiheit. Der Staat muss ja nicht alles über mich wissen.


Ich zwinkere Martha zu. Sie zwinkert zurück.

Der kleine Seitenhieb war an dieser Stelle nur das i-Tüpfelchen.


Wir verabschieden uns.

Nicht als glühende Sozialistin und als gieriger Kapitalist.

Nicht als durchgedrehte Linksradikale und als kompromissloser Trumpist.

Nicht als politische Feinde, die sich gegenseitig den Untergang wünschen.

Stattdessen verabschieden wir uns ganz einfach als Martha und Tom.


Auf dem Weg zurück zum Hostel, der durch die beleuchtete Einkaufsstraße führt, in der man nicht nur Sport- und Bekleidungsgeschäfte findet, sondern auch hippe Cafés, denke ich nach.

Über die Zerrissenheit Amerikas. Die daraus entstehenden Gefahren für alle freien Länder dieser Welt.


Und auch, wenn mir heute ungewollt ein Coup gelungen ist, weiß auch ich nicht, wie genau der helfen kann, unter Amerikanerinnen und Amerikanern wieder für Zusammenhalt zu sorgen.


New York City Skyline
New York City - wird Amerika wieder zu sich finden?

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Tom in Israel, Kibbuz Kfar Aza.jpg

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