Ein Tag im Krieg: Die Angriffe auf Katzrin
Obwohl die in eine hügelige Landschaft eingebettete Kleinstadt Katzrin im Nordosten Israels keine 10.000 Einwohner zählt, so wird sie dennoch von vielen liebevoll als „Hauptstadt des Golan“ bezeichnet.
Im Ort selbst, der bis zum Sechstagekrieg im Jahr 1967 zu Syrien gehörte, befinden sich rund zweitausend Jahre alte Ruinen. Nicht nur sind sie architektonisch ein Erlebnis, sondern sie belegen auch die lange Verwurzelung des jüdischen Volkes in der umstrittenen Region.
Nur einige Kilometer vom Ort selbst entfernt liegt eine Quelle, deren Wasser man in Supermärkten im ganzen Land angeboten bekommt. Das Wasser aber landet nicht nur in etlichen Flaschen und Wasserspendern, die dann mit dem Logo einer bunten Welle versehen Abkühlung versprechen.
Ein Teil des Quellwassers fließt durch einen liebevoll angelegten Park, der zu Sommerzeiten Familien und Ruhesuchende zugleich einlädt.
Seit dem 3. Juli aber hat sich die Ruheoase verändert.
Wo bis vor Kurzem Vögel zwitscherten und Frösche im kühlen Nass badeten, befindet sich heute nur noch ein Aschefeld. Die einst so lebendige Tier- und Pflanzenwelt zahlt den Preis für einen Angriffsbefehl, den die libanesische Terrororganisation Hisbollah ihren Streitkräften erteilte.
Mehr als 200 Raketen und 20 mit Sprengstoff beladene Kamikazedrohnen feuerte die schiitische und von der Islamischen Republik Iran ausgestattete Miliz an diesem Tag auf den Norden und Osten des Jüdischen Staates ab. Vom Himmel herabstürzende Geschosse und Schrapnelle setzten daraufhin ganze Landstriche in Brand.
Im Interview spricht Gital, die ein leichtes Tuch über ihr Haar gelegt hat, von der tiefen Trauer, die sie beim Anblick der Zerstörung erfasst. Die Mutter und Lehrerin spricht davon, dass sie selbst mit geschlossenen Augen die Zerstörung nicht ausblenden kann. Zu sehr erinnern sie der Geruch von Feuer und Asche und die unnatürliche Stille an den Terroranschlag, den sie selbst nur knapp überlebte, als sich im Jahr 1996 ein palästinensischer Attentäter in einem Einkaufszentrum in die Luft sprengte und dabei 13 Menschen tötete.
Fast eine Stunde lang sprechen wir über Traumata, über Krieg und über Frieden. Auch sprechen wir über Hoffnung, die man selbst in der dunkelsten Stunde der Not nicht aufgeben darf. Und auf einmal quakt, ganz zart, ein Frosch. Ein kleines Lebenszeichen in der schwarz verbrannten Aschewüste. Die Freude ist Gital anzusehen, die wie ein Kind aufspringt, um nach dem Frosch zu suchen.
Aber der kurze Moment der Freude wird unsanft von einer zarten Linie unterbrochen, die sich in den Himmel zeichnet und die immer länger wird und auf uns zukommt. Dann knallt es und am Ende der aus Wasserdampf und Abgasen bestehenden feinen Linie sieht man jetzt einen Kreis, der wie eine kleine runde Wolke aussieht.
Gital steht die Angst ins Gesicht geschrieben, während sie an ihr Handy geht, das in diesem Moment zu klingeln beginnt. Wir sollen uns in Sicherheit begeben, eine ganze Salve Raketen aus dem Libanon wäre gerade abgefeuert worden.
Gemeinsam laufen wir zum in einigen hundert Metern Entfernung stehenden Auto. Hier, in der Natur, gibt es keine Raketenschutzbunker.
Mit Vollgas rasen wir in Richtung Katzrin. Verkehrsregeln übersehen wir.
Ich lasse Gital aus dem Auto aussteigen. Sofort eilt sie davon, um im kleinen Restaurant ihres Mannes Schutz zu suchen.
Ich selbst wende das Auto und fahre mit hoher Geschwindigkeit einem Feuerwehrauto hinterher, während ich mir meine schusssichere Weste anlege und den sandfarbenen Helm aufsetze. Beide schützen nicht vor einem direkten Einschlag, aber können im Falle von umherfliegenden Schrapnellen Lebensretter sein.
Immer dichter wird der Rauch, immer mehr Feuer breiten sich auf den umliegenden Feldern aus. Dann sehe ich es: wieder ist der Himmel von weißen Linien durchzogen. Ich halte an, springe aus dem Auto und ducke mich in einer leichten Vertiefung am Straßenrand. Alles ist still. In der Ferne hört man Explosionen der Iron Dome Abfangraketen. Dann herrscht wieder Stille. Und doch verharren ich und der Mann, der sich neben mir befindet und der die Hand an sein Holster gelegt hat, als könne ihn seine Pistole vor den Raketen schützen, in Schutzposition. Messerscharfe Schrapnelle, aber auch schwere herabstürzende Eisenteile fallen gerade vom Himmel. Wo genau sie landen werden, weiß keiner. In einer lokalen WhatsApp-Gruppe ist schon jetzt die Rede von zwei Schwerverletzten.
Nach kurzer Zeit stehe ich auf und beginne, die sich ausbreitenden Feuer zu filmen. Aus dem immer dichter werdenden Rauch taucht ein langsam fahrender, betagt wirkender Traktor auf. Neben ihm läuft ein Mann, der mit einem Schlauch die laut prasselnden und die Planzen verschlingenden Flammen zu zähmen versucht.
Das gerade eintreffende Militär drängt mich zurück und sperrt die Straße.
Während ich mich ins Auto setze, leuchtet mein Handy auf. Die zwei Schwerverletzten, deren PKW in nur wenigen hundert Metern Entfernung zu meiner Position direkt getroffen wurde, sind tot.
Während ich fahre, erreicht mich ein Foto von Noa und Nir Baranes, die au dem Weg nachhause waren, in den Kibbuz Ortal. Noa hat ihren rechten arm locker um die Schulter ihres Mannes Nir gelegt, der ein Weinglas in der Hand hält. Beide lächeln. Auch ihre Tochter und zwei Söhne, die jetzt keine Eltern mehr haben, blicken in die Kamera.
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