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AutorenbildTom David Frey

So scheitert die progressive Linke am Nahost-Konflikt

Eine neue Welt erschafft sich nicht von allein. Auf dem Weg dorthin müssen alte Strukturen aufgebrochen und neue geschaffen werden. Unpassendes muss entkräftet und Unsinn zu Sinn verklärt werden. Und wer dabei nicht abwarten will – denn neue Welten schaffen sich von allein nur höchst unstet – der setzt bei seinen eifrigen Gesellschafts-Umformungs-Tüfteleien am Fundament an.


Warum das progressive und nach außen menschenfreundlich-antifaschistische Kartenhaus im Angesicht des Nahost-Konflikts still und leise in sich zusammenfällt.


Symbolbild

Mehrere Faktoren sind von größter Bedeutung, wenn man eine ungeliebte und der Perfektion nicht nah genug verortete Gesellschaft nach eigenem Gutdünken verändern möchte.


Die Sprache beispielsweise muss dem neuen Zeitgeist entsprechend geformt werden. Manch unpassend erscheinendes Wort wird gestrichen, ein anderes geächtet, noch ein anderes flugs umdefiniert. Und das macht man so lange, bis Worte am Ende zu Gitterstäben werden, die das neue Territorium abstecken. Auf dass Worte heute nicht mehr das aussagen, was sie noch bis in jüngste Vergangenheit bedeuteten.


Aber eine neue Sprache allein reicht nicht aus, wenn man die Gesellschaft ablehnt, auf dem Weg zur Formung eines neuen und besseren Menschen.

Die Grundfesten einer freien Gesellschaft, die für jedes Individuum von höchster Bedeutung sind, müssen aufgebrochen und ersetzt werden. Ganz oben auf der Abschussliste stehen deshalb zwei Institutionen, die den Mächtigen dieser Welt immer wieder ein Dorn im Auge sind: die Familie, die mit einer oft stillen und unverbrüchlichen Loyalität einhergeht, ebenso wie die Ehe, die das Bündnis zweier Menschen zueinander sichtbar macht und staatliche Gewalt im Zweifelsfall zum dritten Rad am Wagen verkommen lässt.


Auch Identitätsmerkmale müssen von denen wieder in Mode gebracht und als politische Waffe genutzt werden, die alles daran setzen, Altes zu zerstören und zwanghaft durch Neues zu ersetzen. Wo man mit dem Klassenkampf nicht einmal mehr die wenigen langhaarigen 68er aus ihren gemütlichen Fernsehsesseln zu hieven vermag, setzt die linke Identitätspolitik deshalb heute erfolgreich auf Hautfarben, Religionen und Geschlechter, um die Menschen im Kern zu spalten und gegeneinander auszuspielen.


Am Ende steht dann – der neue Mensch. Utopie für die einen, unfreie Dystopie für die anderen.

Aber so in etwa denkt man sich die Welt in manch einer selbsterklärten antifaschistischen Studentenbude zurecht. Und natürlich auch in etlichen Medienhäusern, Schulklassen und Hörsälen.


Symbolbild

Wer die Sache naiv angeht, der denkt sich: "Lass sie doch machen. Wenigstens streben sie im Kern nach einer besseren Welt. Die Vision ist doch gut."

Klar, man kann nicht gegen die sein, die vorgeben, den Faschismus bekämpfen. Denn ihre Anliegen klingen doch zumindest nach der richtigen Seite der Geschichte.


Dass im eifrigen Kampf gegen den Faschismus schnell auch Konservative, Liberale und Andersdenkende ins Kreuzfeuer geraten – geschenkt. Der Kampf gegen den Faschismus, diese totalitäre und blutige Ideologie, erfordert eben auch Opfer. Die scheint man im Zweifelsfall hinzunehmen. Nach dem Motto: lieber hundert Andersdenkende zu Unrecht bestrafen, als einen waschechten Faschisten durchs Netz gehen zu lassen.


Das Weltbild der selbst ernannten Antifaschisten beginnt allerdings immer offensichtlicher, sich in sich selbst zu verknoten: Feministinnen geben freiwillig ihre hart erkämpften Rechte an biologische Männer ab. Und Antikolonialisten wähnen sich bereit, Land, Kultur und Freiheit zu opfern, bei dem Versuch, die Taten der eigenen Vorfahren zu sühnen. Und Fürsprecher einer unbegrenzten Migration scheinen vor den Kopf gestoßen, wenn sie erfahren, dass zu viele der neuen Bürger im Land eine akute Bedrohung für religiöse und sexuelle Minderheiten darstellen.


Man mag diese linken Gruppierungen kopfschüttelnd beobachten.

Man mag sich fragen, wo das alles am Ende hinführen soll, wenn das Gefühl, gut gewesen zu sein einmal verflogen ist.

Oder man mag versuchen, in eine Diskussion mit denen einzutreten, die sich tolerant gegenüber allen wähnen, außer gegenüber solchen, die eine andere Meinung vertreten – und seien sie im Zweifelsfall noch so weiblich, schwarz, schwul, muslimisch oder transsexuell. Am Ende ist dann jede als unangenehm empfundene Gegenrede "rechtsextrem".

Klar wird indes, dass es selbst den verbohrtesten Vertretern der neuen Identitätspolitik eben doch primär um eines geht: Macht.


Eine Pro-Israelische Demonstration in Frankfurt am Main, Oktober 2023

Seit dem 7. Oktober 2023 tobt in Nahost ein blutiger Krieg. Horden von menschenverachtenden Schlächtern stürmten an diesem Morgen, im Zuge einer ausgeklügelten und kalt berechneten Terroraktion, die Grenze des einzigen jüdischen Staates. Sie vergewaltigten, schnitten sich gegenübersitzenden und gefesselten Familienangehörigen zuerst Augen heraus und Finger ab, bevor sie sie dann erschossen. Sie stachen Babys Messer quer durch den Kopf und pinkelten auf Leichen oder schleppten diese wie Trophäen nackt durch ihre Heimatstädte – unter Jubelrufen der Anwohner. Ganz zu schweigen von dem Grauen, das die rund 200 Geiseln erleben, die sich noch immer in Gefangenschaft befinden. Und die die Welt vergessen zu haben scheint, in ihrer Lüsternheit am Krieg oder an der Angst vor ebendiesem.


Bilder von zwei verschleppten jüdischen Kindern

Der 7. Oktober 2023 geht aber nicht nur als der Tag in die Geschichte ein, an dem abermals Juden das Opfer eines blinden Hasses – und zu vielen hunderten abgeschlachtet wurden. Der erste Samstag des Monats Oktober, also der Tag, der das Ausmaß hätte, eine Sintflut zu rechtfertigen, ist auch der Tag, an dem das progressive linke Weltbild einen Schaden nahm, der nicht mehr zu übersehen ist. Wenn man ihn nicht übersehen und sich mitschuldig machen will.


Bis vor wenigen Tagen war sich die progressive Linke noch einig: Sobald eine Frau auch nur angibt, sexuell belästigt worden zu sein, muss ihr geglaubt werden.

Es stellt sich heraus: Dasselbe gilt nicht für massenhaft jüdische Frauen, die teilweise live vergewaltigt und anschließend ermordet wurden. Hier wird palavert und diskutiert. Reaktionen verbitten sich viele im linken Spektrum, die stattdessen für "gegenseitige Abrüstung" plädieren und jede Aktion des israelischen Militärs ablehnen.


Bis vor wenigen Tagen war sich die progressive Linke noch einig: Nazis darf man nicht nur schlagen, man muss das sogar. Keinen Millimeter den Faschisten!

Es stellt sich heraus: Sobald wir aber von arabischen Faschisten sprechen, die nicht nur zum Massenmord an Juden aufrufen, sondern die das Schlachten sogar feiern, dann gilt dieser gut gemeinte Aufruf nicht mehr. Diese Nazis, die arabischen, die will man nicht schlagen. Die ja-abert man irgendwie aus dem Schlamassel. Deren Taten mildert man durch irgendeine abstruse Theorie ab. Von Menschlichkeit und Antifaschismus keine Spur.


Bis vor wenigen Tagen war sich die progressive Linke noch einig: Menschen, die von einem bestimmten Gebiet Land stammen, haben ein Anrecht darauf, auf dieses zurückzukehren. Es stellt sich heraus: Wenn es aber Juden sind, die das Bisschen Land, auf dem ihre Vorfahren schon vor Jahrtausenden lebten, zu ihrer Heimat machen und dabei den Nachbarn die Hand im Frieden reichen, dann wird ihnen das Recht auf Rückkehr abgesprochen. Rückkehrrecht gilt nicht für Juden.


Bis vor wenigen Tagen war sich die progressive Linke noch einig: Kolonialismus geht gar nicht.

Es stellt sich heraus: Wenn es muslimische Schlächter sind, die den einzigen jüdischen Staat auslöschen wollen – und das nicht einmal hinter vorgehaltener Hand – dann wird arabischer Kolonialismus zum legitimen Freiheitsbestreben verklärt. Auf einmal ist faschistischer Kolonialismus irgendwie links.


Bis vor wenigen Tagen war sich die progressive Linke noch einig: Religion ist Gift für das Volk und jeder aus heiligen Büchern rührende Extremismus zu verurteilen.

Es stellt sich heraus: Ja, zu dieser These steht man natürlich auch heute noch. Außer natürlich, wenn es sich bei den Radikalen um Islamisten der Hamas handelt, deren offizielles und öffentlich selbsterklärtes Ziel die Auslöschung allen jüdischen Lebens ist. Nicht nur in Nahost. Sondern weltweit. Dieser religiöse Extremismus allerdings lässt sich von zu vielen Linken irgendwie erklären oder abschwächen, notfalls mit einer Täter-Opfer-Umkehr.


Symbolbild

Wir lernen: all die Poeten, die Fernsehmoderatoren und Meinungsmacher, die studentischen Vereinigungen, die Sänger und Bands, die immer wieder Gratiskonzerte geben, die die Menschen zum Kampf gegen den Faschismus aufrufen, die überall Nazis wittern, die canceln wollen und ein hartes Vorgehen gegen Rechts einfordern, sie alle schweigen oder verstecken sich hinter Worthülsen, wenn friedlich lebende Juden in Nahost von Faschisten massakriert und Synagogen in Deutschland von rechtsextremen Arabern mit Brandbomben beworfen werden.


Entweder, all diese ansonsten gerne lauten Kämpfer gegen den Faschismus sind einfach feige und naiv. Denn natürlich erfordern Aufrufe gegen tote Nazis keinen Mut. Im Gegenteil. Wer gegen "Rechts" (was im Zweifelsfall alles Mögliche sein kann) aufruft, der wird bejubelt und belohnt. Wohingegen man schnell auf einer Abschussliste landet und Polizeischutz benötigt, wenn man die heute lebenden Faschisten verurteilt und bekämpft.

Oder aber, die ansonsten gerne lauten Kämpfer gegen den Faschismus wissen genau, wann sie laut sind und wann ihr Schweigen unüberhörbar wird, wann also das Verstummen zur stillen Zustimmung zu mordenden Faschisten mutiert, die jüdisches Leben überall auf der Welt bedrohen – und am Ende die gesamte freie Gesellschaft.


Wehret den Anfängen.

Denn "Nie wieder" ist jetzt.


Ein Wort zum Abschluss: auf den wenigen Demonstrationen, die sich mit Israel solidarisieren, sind sie zwar zahlenmäßig weit unterrepräsentiert. Dennoch findet man auch dort ganz vereinzelt eine Antifa-Flagge. Die breite Masse linker Demonstranten aber, die sonst gerne schreiend auf die Straßen stürmt, die sucht man allerdings vergeblich.

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Tom in Israel, Kibbuz Kfar Aza.jpg

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