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  • AutorenbildTom David Frey

Was Israel ausmacht - und wie es sich im Krieg verändert

Es ist mein 18. Besuch im Land, das einige Israel und andere Palästina nennen. Und wieder andere sprechen vom Gelobten Land. Oder aber vom Heiligen.


Der jüdische Staat ist dabei auch in Wahrheit alles andere als eintönig und kommt in vielerlei Hinsicht ganz anders daher, als die meisten anderen Länder dieser Erde.


Eindrücke einer Reise nach Israel - in Kriegszeiten.

Ein israelischer Panzer (2023)

Es sind nicht nur die vielen Schilder und Hinweise, die den Weg zum nächsten raketensicheren Bunker ausweisen; diese Schilder fallen Besuchern, die im Oktober 2023 in Israel ankommen, sofort ins Auge.


Ganz besonders sind aber, neben den Raketen und dem Terror im Alltag, auch die zwischenmenschlichen Ereignisse.

Sie stehen sinnbildhaft für ein Land, das sich nicht nur in ständiger Bedrohung befindet, manchmal erfüllt von der Sorge um das schiere Überleben.

Dieses kleine Land, das nur in etwa so groß ist wie das Bundesland Hessen, ist auch im stetigen Wandel. Wieder und wieder muss man sich neu erfinden. Anpassen. Überlebenskünstler sein.

Oder wiederholt sich Geschichte am Ende doch nur? Und ist der scheinbare Wandel doch nur eine mit den Kriegen wieder aufflammende und in Friedensphasen wieder abebbende Tradition?


Man könnte sagen, dass beides zutrifft.


Der Besonderheit des Überlebens ist man sich nirgendwo mehr bewusst als bei denen, die im Laufe der Jahrtausende immer wieder von ihren Feinden ausgerottet werden sollten. Und die am Ende doch über die Angreifer triumphierten, die man zumeist nur noch in Geschichtsbüchern findet. Wenn auch das Überleben zumeist mit hohen Verlusten und klaffenden Wunden einherging.

Viele Feste feiert man deshalb im Judentum. Und ein Sprichwort besagt, dass sie alle nach dem selben Schema ablaufen: Jemand plante, die Juden auszurotten. Die Juden gewannen. Bete Avon. Also guten Appetit.


Dass ein Volk, das andere nicht unterjochen und seinem Glauben unterwerfen will, dem die Konversion sogar widerstrebt, immer wieder eine Zielscheibe war und bis heute ist, hat aus Menschen Krieger gemacht.

Doch sind diese Krieger in vielen Fällen nicht vergleichbar mit dem Typ GI Joe, dem muskulösen, aber dennoch leicht dümmlichen Rambo, der zwischen Maschinengewehr, heißen Bettgeschichten und Schenkelklopfern unaufhörlich hin und her wechselt.


Der judäische Krieger unterscheidet sich von Soldaten anderer Länder. Und das ist keine Untertreibung, ebenso wenig eine Beschönigung wie ein Schlechtreden. Es fällt einfach auf, wenn man die Welt bereist und die vielen Gesichter gesehen hat, die im jeweiligen Land die militärische Staatsmacht repräsentieren.


Symbolbild

Als ich vom Flughafen in Tel Aviv die Bahn steige, um in mein AirBnB zu fahren und etwas zu schlafen, fällt mir die gähnende Leere auf. Um mich herum ist es still. In der Bahn sitzen hauptsächlich Ältere. Und auch von denen sind es nur wenige.

Zu hunderttausenden wurden junge Reservisten eingezogen, um dem Staat Israel in der dunkelsten Stunde des aktuellen Jahrhunderts beizustehen. Und alle diese Gesichter, die im wahren Leben Krankenschwestern, Mechaniker, Bäcker, Rechtsanwälte, Buchhändler, Musiker, Bankangestellte, Kindergärtner und Busfahrer sind, sind aus dem öffentlichen Bild verschwunden, sie alle hinterlassen eine Leere, die bedrückt. Und die gleichzeitig Hoffnung macht.


Ich verlasse die Bahn und laufe die Treppen hoch, die in das kleine Bahnhofsterminal führen.

Ich stelle meinen Rucksack ab, um meine Kameras zu verstauen, denn irgendwann, nach einem so anstrengenden Tag, muss man die Dinge auch mal langsamer angehen lassen. Da höre ich, mozartgleich, Musik. Sofort ist mir klar, dass diese nicht aus einem Lautsprecher dudelt.


In einer Ecke des Bahnhofs sehe ich dann auch einen schwarz lackierten Flügel stehen. Ganz unauffällig, ohne politische Botschaften, ohne Banner, ohne Vermerk, wer ihn dort eigentlich hingestellt hat.


Ein junger israelischer Soldat sitzt an einem öffentlichen Flügel

Die Musik, die voller Witz und Trauer zugleich ist, die das Herz schneller schlagen und auf die nächste unerwartete Abbiegung warten lässt, wird immer lauter. Da sitzt er. Ein junger Mann, vielleicht Mitte zwanzig, und spielt, als wäre das Klavier sein bester Freund oder sein vertrauter Vater, als würde er, ohne den Mund zu öffnen, mit seiner Musik Geschichten aus seinem Leben erzählen.


Andächtig lausche ich den Klängen und nähere mich diesem jungen Künstler, den ich auf einer musikalischen Hochschule verorten würde. Erst dann fällt mir auf, dass der dünne, leicht gelockte junge Mann, der keinen Bart trägt und einen kindlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hat, ein Soldat ist. Seine Uniform, olivgrün, macht das deutlich. Der Fuß, der das Klavier mitbedient, ist umhüllt von einem dicken, wahrscheinlich mit Stahl verstärkten Schuh, dem man die vielen kilometerlangen Märsche ansieht, die er wahrscheinlich schon zurückgelegt hat. Auf den Knien des Mannes, der ohne Unterbrechung schon seit Minuten spielt, liegt sein Gewehr.


Die Situation hat etwas Surreales an sich. Aber das nur einerseits. Denn andererseits spiegelt sich wider, was die israelischen Verteidigungsstreitkräfte ausmacht: Sie bestehen aus jungen Menschen, die nicht danach streben, Krieg zu führen, sondern die der Armee nur deshalb einen Platz in ihrem Leben einräumen, weil sie ohne diese nicht überleben würden.

Im Auto, unterwegs in Israels Südwesten

Ein anderer Tag, ein anderer Ort. Ich befinde mich im Südwesten Israels. Gaza liegt nur etwa eine halbe Autostunde von mir entfernt.


Die über 1.400 bestialisch ermordeten Zivilisten, ebenso wie die rund 230 Geiseln, die die Terrororganisation Hamas entführt hat, rücken im europäischen Bewusstsein langsam in den Hintergrund.


Stattdessen wendet man sich in Deutschland lieber dem Tagesgeschäft zu. Frau Wagenknecht hat eine neue Partei gegründet. Die AfD ist böse. Viele Migranten sind vielleicht doch nicht so einfach zu integrieren, wie man sich das die letzten zehn Jahre lang vorgemacht hat.


Hier, im rauen Süden Israels, der staubig ist und trocken, interessiert derlei nicht.

Jeder kennt mindestens einen traumatisierten, einen ermordeten oder aber einen entführten Menschen.


Proportional gesprochen ist der 7. Oktober des Jahres 2023 für den jüdischen Staat, der von akuten wie gemäßigten Feinden umgeben ist, wie ein zehnfaches 9/11 es für die Vereinigten Staaten von Amerika war.

Und das nicht nur zahlenmäßig, sondern auch, was die Barbarei angeht, die ein Ausmaß annahm, das mit Worten nicht zu beschreiben ist.


Die jungen Soldaten, die in ihren privaten Fahrzeugen von überallher in den Süden des Landes strömen, scheinen geeint. Der Überlebenswille schweißt zusammen, was vorher so brüchig war. Wenigstens für den Moment.


Die Einheit der jungen Nation in Nahost wird aber nicht nur beim Anblick der Soldaten und Reservisten, die ihren Familien entrissen wurden, sichtbar. Wer sich mit israelischer Politik beschäftigt, der weiß, dass die ultraorthodoxe Community sich mit der säkularen oft in der Auseinandersetzung befindet. Das fängt beim Wunsch vieler Frommer an, auch in Tel Aviv, der lebendigen Metropole, den Shabbat einzuhalten, geht über Streitigkeiten, wer an der Klagemauer wo beten solle und endet beim Streit um den Dienst beim Militär, der für alle männlichen und weiblichen Bürger des Landes Pflicht ist. Mit wenigen Ausnahmen. Zu ihnen zählen viele der Ultraorthodoxen.


Die aber, die sich ansonsten so vehement gegen das Militär in seiner Gänze stemmen, durchlaufen in den Tagen nach dem Massaker zu einem beachtlichen Teil eine Abnabelung alter Glaubenssätze.


Auf dem staubigen Parkplatz, auf dem sich hunderte Soldaten treffen, einige, um zu tanken, andere, um sich mit Snacks und Kopflampen einzudecken, wieder andere aus Gründen, die sich dem Beobachter entziehen, sie alle werden von Ultraorthodoxen unterstützt, die wie aus der Zeit gefallen wirken, mit ihren Hüten und Mänteln, die sie auch in der drückenden Hitze nicht ablegen wollen. Sie verteilen Gebetsmaterial an die Soldaten, die im Gefecht oder in dessen Erwartung mehr Unterstützung brauchen als die ihres Staatschefs. Die darauf hoffen, dass der Herr ihnen beisteht und sie zum Sieg führen wird, gegen einen Feind, der keine Gnade kennt.


Dort stehen sie, die sonst nicht viel miteinander anfangen können, die zwar so nah beieinander leben, aber meistens doch in unterschiedlichen Welten, und sind sich bewusst, dass sie einander brauchen.


Aber viele junge Ultraorthodoxe gehen noch weiter.

Zwar können sie nicht im Eilverfahren an der Waffe ausgebildet werden, vielleicht wollen sie das auch gar nicht, aber sie sind es, die viele logistische Schritte in der langen Kette des Militärs freiwillig übernehmen.

So steigt aus manch einem Militärlaster nicht etwa ein junger Mann oder eine junge Frau in Uniform, sondern ein junger Mann mit Schläfenlocken, Bart, mit Hut und Mantel.


Israel befindet sich in der schwierigsten Phase seit dem Überfallkrieg im Jahr 1973, der als Yom Kippur Krieg in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Diese Botschaft - dass ihr Überleben und ihre Existenz akut bedroht sind - ist bei allen Bürgern angekommen.

Und ebenso, wie der Krieg eine Bedrohung ist, ist er für die israelische Bevölkerung, die gerne und oft streitet, eine Chance, Gräben zu überwinden.


Vielleicht brauchte es dazu wirklich eine existenzielle Krise.


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Tom in Israel, Kibbuz Kfar Aza.jpg

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